Kapitel 2 - Ein Halleluja auf die Hoffnung
Kapitel 2: Ein Halleluja auf die Hoffnung
Orbitalfrachter Bethany — 5.
August 2280
Shyla
Die Bethany ächzt. Ein dumpfes auf- und abschwellendes
Dröhnen. Die Spacer, die Leute, die im All arbeiten und leben, nennen es
Hafengesang. Metall gegen Metall. Masse gegen Masse. Es ist das Geräusch, mit
dem sich ein Raumschiff in den Andockklammern windet, weil niemand einen
fragilen Koloss mit 250000 Registertonnen Fracht landet. Nicht einmal auf dem
Mond mit seiner niedrigen Schwerkraft. Deshalb schwebt im Orbit über Lunar
Landing die Lunar Docking Station.
Normalerweise beginnen die mächtigen Ladekräne sofort
nach der Ankunft mit dem Entladen. Zeit ist Geld. Jede Stunde in den
Andockklammern verbrennt Dollar. Aber diesmal fehlt das Summen und Klacken mit
dem die mechanischen Greifer, die Container von der Bethany lösen und in die
Gondeln des SpaceElevators von Lunar Landing hängen.
Als würde selbst Lunar Docking den Atem anhalten.
Ich versuche zu lächeln, gelassen zu wirken, während
die Pumpen den Druckausgleich zwischen der Station und dem Schiff herstellen.
Wie die meisten kleinen Frachter fliegen wir mit Undercut. Heißt mit etwas
weniger Sauerstoff und einer etwas dünneren Atmosphäre. Es schadet nicht, der
Körper gewöhnt sich irgendwann an die simulierte Höhenluft und produziert mehr
rote Blutkörperchen. Und auf´s Jahr gerechnet sparen wir damit einige tausend
Dollar.
Einfach so.
Das ist einer der kleinen Tricks mit denen Dockratten
überleben. Völlig legal. Die vierzig Paletten geschmuggelter Whisky sind eine
ganz andere Hausnummer. Das weiß ich. Die werden mir das Genick brechen.
Ich beiße mir auf die Unterlippe.
Fuck!
Natürlich weiß ich, was ein Drone Suit ist. Jeder weiß
es. Modifizierte Raumanzüge, in denen Häftlinge als Zwangsarbeiter in den Minen
der Ganymede Kolonie arbeiten. Vierundzwanzig Stunden, sieben Tage die Woche.
Es ist der Scheiß, den man kleinen Kindern erzählt, wenn sie ihren Teller nicht
leer essen. Oder, den man vom Dekan der Schule zu hören kriegt, wenn man ständig
in Mathe durchfällt. Dann wird nichts aus einem und man landet im Drone Suit.
Fuck you Mr. Peabody!
Wenn der Arsch mich jetzt sehen könnte, würde er breit
grinsen. Mit diesem bescheuerten „Ich habe es ja gleich gesagt“ Ausdruck in
seinem feisten Gesicht.
Für die meisten Menschen ist der Drone Suit ganz weit
weg. Die ultimative Drohkulisse, falls man sein Karma auf null fallen lässt.
Oder, wenn man so dumm ist, sich dreimal beim Schmuggeln erwischen zu lassen.
Was eigentlich auf dasselbe hinausläuft. Das Karma ist
futsch, das Seelenlicht erlischt und man wird in den Drone Suit gequetscht wie
ein beschissener Thunfisch in die Dose. Man kann ihn nicht mehr ausziehen.
Nicht, bevor das Commonwealth ihn nicht freundlicherweise wieder aufschließt.
Man lebt in dem Suit, man schläft in dem Suit, man isst in dem Suit und man
scheißt in dem Suit. Bis man seine Strafe abgesessen hat.
Auf einem lebensfeindlichen Mond, auf dem es nur in
der Hauptstadt Port Thialy eine halbwegs atembare Atmosphäre gibt, ist es
billiger Häftlinge in einen persönlichen Überlebensanzug einzuschließen, als
Gefängniskomplexe mit beheizten Zellen und Speisesälen voller Atemluft zu
bauen.
Die Luftschleuse der Bethany öffnet sich mit einem
leisen Klicken, als würde das alte Raumschiff meine Nervosität spüren. Innen-
und Außenschott gleiten gleichzeitig zur Seite und ich Blicke einem Offizier
der UCSN in die Augen. Eisgrau, ausdruckslos wie Positionslichter und kälter
als das Vakuum jenseits der Stahlhülle der Bethany. Er gehört zu den Menschen,
die eine Uniform nicht einfach tragen, er füllt sie aus, als wäre er damit
geboren worden. Hinter ihm stehen Spacemarines. Mindestens vier. Mehr kann ich
in dem engen Korridor nicht erkennen, aber ich kann sehen, dass ihre Railguns
gezogen und nicht wie üblich auf dem Rücken ihrer Kampfanzüge verstaut haben.
Ich schlucke. Mein Mund ist trocken wie Mumienstaub
und in meinem Hals sitzt ein Kloß, der größer ist als der beschissene Mond.
Oder Ganymede.
Steeljacks werden die Marines meistens genannt. Wegen
der rüstungsartigen Anzüge, in denen sie wahrscheinlich sogar auf der
Oberfläche der Sonne einen entspannten Sonntagsspaziergang absolvieren könnten.
„Ich grüße Sie Bürgerin“, sagt der Offizier der
Spacenavy. „Ich bin Leutnant Commander Sanders. Ich bitte für eine Inspektion
ihres Schiffs an Bord kommen zu dürfen.“
Mein Lächeln wird breiter, die Lippen blutleerer und
dünner.
„Natürlich“ höre ich mich sagen, Meine Stimme klingt
weit entfernt und seltsam fremd, als würde sie nicht mir gehören. „Kommen sie
bitte an Bord.“
Der Mann bückt sich, zieht den Kopf ein, als wäre die
Luftschleuse zu niedrig für ihn. Dieselbe Luftschleuse, aus der ich Torley
geworfen habe.
Mein Magen verkrampft sich. Ich mache instinktiv einen
Schritt nach hinten und zur Seite in den Korridor der Bethany. Ich will nicht
an Torley denken, nicht daran, ob er noch lebt. Zurück in der Zentrale hatte
ich den Funk sofort ausgeschaltet und seine Stimme, die zwischen Verblüffung,
Wut und Enttäuschung schwankte kommentarlos erstickt, obwohl jede Faser meines
Herzens darum bettelte, mit ihm zu reden, ihm alles zu erklären, ihm zu sagen …
… dass ich ihn liebe.
Aber dann hätte ich ihm ebenso gut ein Schild mit der
Aufschrift „Flüchtiger Schmuggler, Toledo bitte einfangen“ auf den Rücken
binden können.
Das Deck der Bethany bebt unter den schweren Stiefeln
der Steeljacks. Es sind mehr als vier. Mindestens acht. Leutnant Commander
Sanders sieht sich prüfend um. Die Abscheu in seinem Blick ist kaum zu
übersehen. Der abgeblätterte Lack an den Wänden, die flackernden Deckenlichter,
der ausgetretene Sicherheitsbelag auf dem Deck der Bethany. Was ich zu Hause
nenne, rangiert für ihn sehr offensichtlich auf der selben Ebene wie das
versiffte Plumpsklo einer Hippiekommune in Montana.
„Vielen Dank für ihre Kooperation, Bürgerin“, sagt er
emotionslos.
Ich nicke, sage kein Wort.
Er winkelt den linken Arm an und über seinem
Handgelenk erwacht ein HoloPad zu flackerndem Leben. „Wie viele
Besatzungsmitglieder?“
„Keine …“ krächze ich. „Nur ich. Ich bin allein.“
Er sieht von dem Pad auf, mustert mich, zieht die
Brauen hoch.
„Ich bin allein“ wiederhole ich und klinge noch immer
so heiser wie ein altersschwacher Rabe. „Captain und Pilotin.“
„In den Schiffsunterlagen wird noch Mr. Torley
Legrande als Bordmechaniker geführt“ sagt er.
„Torley … nein …“ Ich schüttle den Kopf. „Er ist
Miteigentümer der Bethany. Deshalb … Und … man darf nicht allein fliegen. Die
Gewerkschaft. Sie verbietet Alleinflüge. Dann verfällt die Versicherung …“
Leutnant Commander Sanders Finger huschen über das
HoloPad. Er sagt nichts, gibt nur irgendeinen Scheiß ein und mir ist klar, dass
ich geliefert bin. So oder so.
Gewerkschaftsbetrug ist übel.
Nicht ganz so schlimm wie Schmuggel und es wäre auch
mein erstes Mal, aber immer noch schlimm genug, um mein Karma auf Violett zu crashen.
Aber violett ist besser als null …
„Torley …er ist meistens … auf der Erde …“ stammle
ich. „Lässt sich wahrscheinlich gerade volllaufen … während ich …“
„Frachtpapiere!“ unterbricht mich Leutnant Commander
Sanders barsch.
Ich greife in die meine Overalltasche und ziehe den
HoloStift heraus. Silberglänzend, dünn wie ein Bleistift und auch kaum länger.
An einem Ende prangt kaum sichtbar das Wappen der Händlergilde. Ich presse kurz
den Zeigefinger darauf und die über dem HoloStift erscheinen die Frachtpapiere
der Bethany. Farblich sortiert nach Kategorien und Ladezonen und gewissenhaft
überarbeitet von Torley. Vielleicht wäre es cleverer gewesen, die
Orginalpapiere vorzulegen und auf einen Hauch Gnade in dem ausdruckslosen Militärgesicht
zu hoffen, aber die existieren nicht mehr. Regel 1, wenn man etwas fälscht. Nie
die Originale behalten. Das gibt immer Ärger.
Sanders wischt einmal flüchtig durch das Holo und die
Anzeige verschwindet. Er hat sie auf sein Pad gezogen. Einfach so. Keine
Freigabe erforderlich. Passwort sowieso nicht.
Ich schlucke.
Die Botschaft ist angekommen.
Sanders Finger huschen über das lumineszierende
Dokument.
„Weshalb haben Sie die Frachtpapiere manipuliert?“
Seine Stimme ist ausdruckslos. So als würde er mich nach dem Baujahr der
Bethany fragen und nicht, warum ich gerade versuche Schmuggelware vor ihm zu
verstecken.
Ich öffne den Mund …
… bringe keinen Ton heraus.
Es gibt Gerüchte, die man hinter vorgehaltener Hand
flüstert. Dass die Konzerne in den Frachtpapieren Wasserzeichen verstecken,
dass die Gilde unsichtbare Unicodes in die Siegel einbettet, um Diebe
abzuschrecken. Und natürlich, um Schmugglern das Handwerk zu legen, die Fracht
und damit Geld an den Dockmeistern vorbei lotsen. Wenn man solche Dokumente
kreativ überarbeitet, wie Torley es getan hat, hat die Navy sie mit einem
Descrambler wieder rekonstruieren.
Aber das sind natürlich nur Geschichten, die man sich
in den Spacercantinas erzählt. Torley hat es schon hunderte Male gemacht und
wahrscheinlich liegen gerade drei Dutzend Schiffe mit gefälschten
Landungspapieren in den Docks von Lunar Orbit. Aber auf die hat es die Toledo
nicht abgesehen.
Leutnant Commander Sanders mustert mich, wartet noch
immer auf eine Antwort, die ich ihm nicht geben will, weil ich so dumm bin, auf
ein beschissenes Wunder zu hoffen.
Ich lecke mir über die trockenen Lippen, räuspere
mich. „Nun … es … gab einen Energieausfall … zwischen Erde und Mond. Die Datei
mit den Frachtpapieren wurde dabei … beschädigt. Ich … habe sie wieder
herstellen müssen …“
„Ein Energieausfall“ sagt er nur und dehnt das letzte
Wort, als würde er sich eine Delikatesse auf der Zunge zergehen lassen. Ich
nicke. Wir wissen beide, dass ich gerade Bullshit gelabert habe. Ein Ausfall
der Bordenergie würde bestenfalls die Arbeitsspeicher der Bethany betreffen und
niemals das Ladungsverzeichnis, das in fünf Kopien auf jeder beschissenen
Festplatte des Schiffs gespeichert ist.
Und selbst für die Arbeitsspeicher gibt es regelmäßige
Backups …
Sanders lässt das Holo erlöschen. „Zeigen Sie mir
bitte Container KM – 8351 -B.“
Zweifelsohne einer der Container, aus denen Torley
virtuell Fracht umverteilt hat. Und damit pulverisiert der Leutnant Commander der
SpaceNavy meine letzte Hoffnung den heutigen Tag noch irgendwie mit heiler Haut
zu überstehen. Oder wenigstens nur mit einem blauen Auge aus der Sache
rauszukommen.
Die 250000 Registertonnen Fracht bedeuten hunderte
Container, die im Rig der Bethany hängen. Die zehn Steeljacks, auf die der
Trupp hinter Sanders mittlerweile angewachsen ist, würden Tage, wenn nicht
sogar Wochen benötigen, jeden einzelnen zu kontrollieren. Mit etwas Glück würde
die Toledo eine neue Mission erhalten oder auf ein lohnenderes Ziel stoßen,
bevor Sanders die vierzig Paletten Whisky findet.
Das war meine letzte Hoffnung gewesen. Aber Torley
hatte unabsichtlich eine neonglühende Spur digitaler Brotkrumen direkt zu
unserer Schmuggelware gelegt.
Ich beiße mir
auf die Unterlippe, straffe die Schultern. „Können wir reden Commander?“
Und plötzlich glaube ich in Sanders Blick so etwas wie
Mitleid aufflackern zu sehen. „Ich bedauere, Bürgerin. Aber diese Möglichkeit,
haben Sie vor acht Standardstunden verstreichen lassen. Bitte zeigen Sie mir
jetzt Container KM – 8351 -B.“
„Und wenn ich …“ beginne ich, aber Sanders unterbricht
mich mit einem knappen Kopfschütteln.
„Machen Sie es sich bitte nicht noch schwerer,
Bürgerin. Kooperieren sie.“ Seine Augen sind wieder kalt wie das Vakuum.
Ich nicke, habe begriffen.
Ich habe ein Kriegsschiff des United Commonwealth mehr
als acht Stunden lang hingehalten und an der Nase herumgeführt. So etwas hat
Konsequenzen. Dafür will sich jemand revanchieren.
Tit for tat.
Auf der Toledo steht längst mein Name auf einer Zelle
in der Brig, aber Sanders würde mich schmoren lassen und Container für
Container öffnen, bevor er die Schmuggelware finden und mich festnehmen würde.
Sie wollen halt nur noch ein bisschen Katz und Maus spielen und ich bin die
beschissene Maus.
Aber es gibt nichts, was ich dagegen tun. Rein gar
nichts. Nicht mit der Tolendo im All über uns, die der Bethany so dicht auf die
Pelle rückt, dass es an sexuelle Belästigung grenzt und zehn Spacemarines, die
mich durch abgedunkelte Visiere mustern, als wäre ich ihr persönliches
Abendvergnügen.
Was ich wohl auch sein werde.
Mein Magen verkrampft sich zu einem schmerzhaften
Kloß, aber ich lasse mir nichts anmerken. Sanders hatte bereits seinen ersten
persönlichen Triumph. Meinen Moment der Schwäche, in der ich ihm ein Geständnis
auf dem Silbertablett angeboten habe. Für die Hoffnung auf ein bisschen Gnade.
Noch einmal wird er das nicht kriegen …
Ich drehe mich um, bücke mich durch eines der Schotts hindurch.
„Folgen Sie mir bitte.“
Ich muss mich nicht umdrehen, um zu wissen, dass der Leutnant
Commander und die Spacemarines hinter mir sind. Man spürt die schweren
Kampfstiefel von zehn Steeljacks auf einem Deck. Bei jedem Schritt. Bis in die
Knochen. Ich schwinge mich in die Nohlanröhre, lasse mich bis auf Deck 0
sinken, das eigentlich gar kein Schiffsdeck mehr ist. Technisch gesehen ist
Deck 0 der Nohlanring. Eine mobile Ladebrücke, die sich entlang der
Frachtsektion der Bethany bewegen kann und mit der wir in der Lage sind,
Container selbst in das Rig zu hängen.
Bis vor ein paar Jahren war das Standard. Die meisten
Orbitalstationen waren dankbar, wenn man beim Beladen helfen konnte. Aber dann
hat die Lunar Trading Company das erste Expressterminal auf New Washington
Space 2 eröffnet. Seither sind Laderinge nur noch teurer Ballast.
Die Bethany gehört zu den Frachterklassen, die man
nicht mit einem vernünftigen Aufwand umrüsten kann. Der Laderring dient als
Schwungrad für die Längsrotation. Deshalb war sie billig. Sonst hätten Torley
und ich sie niemals kaufen können.
Ich warte gerade so lange, bis einer der Spacemarines
das Schott schließt und die Verrieglung einrastet, dann berühre ich die
Konsole. HoloScreens erwachen zu flackerndem Leben und der Nohlanring setzt
sich ächzend in Bewegung.
„KM – 8351 -B?“ frage ich knapp.
„Ja“ antwortet Sanders.
Freunde werden wir wohl nicht mehr. Nicht in diesem
Leben.
Hinter dem Sicherheitsglas ziehen die endlosen Reihen
von Containern unter uns dahin. Hunderte. Tausende. Medizinische Güter, Weizen,
Reis, Fleisch, elektronische Bauteile. Mars und Mond liefern die Rohstoffe,
aber in der lebensfeindlichen Umwelt der Erdkolonien ist ein Getreidefeld
Luxus. Deshalb werden die meisten Nahrungsmittel synthetisch hergestellt – und
schmecken auch so. Wer sich auf dem Mond einen Kaffee bestellt, benötigt viel
Fantasie, um in der braunen Brühe einen Mocca oder Kaffee Latte der Erde zu
entdecken.
Ich habe es probiert. Mehr als einmal und es war nie
eine gute Idee. Torley kriegt das Zeug runter, aber ich nicht.
12000 beschissene Container, in mehreren Lagen radial
eingespannt zwischen Bug und Heck der Bethany und es reicht immer noch nicht um
ohne einen Container Schmuggelware über die Runden zu kommen.
Zum Kotzen.
Die Zeit zieht sich wie Sirup. Niemand spricht. Die
Steeljacks sowieso nicht und Sanders auch nicht. Es gibt Witze über die
wortkargen Spacemarines. Zum Beispiel. Kommt ein Steeljack in eine Bar und
sagt: „Whisky.“
Es ist einer von Torleys Lieblingswitzen. Ich habe
immer gelacht, auch wenn ich ihn nicht lustig finde. Nie. Und heute noch
weniger.
Ich atme tief ein. Unter uns gleitet eine Wüste aus
Stahl und Dunkelheit dahin. Zwischen jeder Reihe Container öffnet sich eine
lichtlose Kluft aus purer Schwärze, die exakt so breit wie die Ladebrücke ist.
Dann, nach einer gefühlten Ewigkeit wird der Nohlanring langsamer und das
Kontrollmodul mit den seitlichen Greifarmen senkt sich ab. Ich drücke einige
der beruhigend altmodischen Knöpfe. Die Pumpen Zischen und das Schott in meinem
Rücken verbindet sich mit Container KM – 8351 -B.
Medizinische Güter und Ehehygieneartikel.
Ich seufze.
Ist ja klar, dass die großen Jungs mit den Spielsachen
anfangen …
„KM – 8351 -B“ sage ich und deute auf das geöffnete
Schott. Sanders nickt.
Ich bleibe in der Kontrollkabine, was auch zwei der
Steeljacks zwingt mir Gesellschaft zu leisten. Ein bisschen tun mir die beiden
leid. Ein sehr kleines Bisschen. Aber wuchtige Männer in Ganzkörperpanzerungen,
die sich durch Kisten voller Dildos wühlen, zählt nicht zu den Erlebnissen, von
denen ich träumen möchte.
Die Vorstellung reicht.
Irgendwann quetscht sich der Trupp durch das Schott
zurück in das Kontrollmodul. KM – 8351 -B ist sauber. Auch wenn es jetzt
vermutlich ein Versicherungsfall ist.
„BR – 3686 – X“ knurrt Sanders.
Ich nicke.
Irgendwann hinter dem dritten Container verliere ich
das Zeitgefühl.
XW – 9926 – D hat uns beinahe umgebracht, weil es
immer eine schlechte Idee ist, einen Container mit Weizen als Schüttgut
durchsuchen zu wollen und seit HG – 7018 – T weiß ich, dass sich Flursäure
selbst durch die Panzerung eines Spacemarines frisst.
Was muss der Trottel auch die Hand in den Tank
stecken. Genug Warnzeichen waren ja drauf. Trotzdem. Sergeant Baines ist ein
echter Glückspilz. Der Durexstahl hat lange genug standgehalten, bis wir ihn
aus der Rüstung geschält hatten. Weitestgehend. Nur ein paar leichte
Verätzungen. Und das Erste Hilfe Kit in der Kabine war auch erst seit 4 Jahren
abgelaufen.
Zwischen Container KG – 4920 – V und JY – 8374 – U
durfte ich mit den Schockstäben der Steeljacks Bekanntschaft machen. Das
Kontrollmodul des Nohlanrings verfügt über eine rudimentäre Toilette. Mehr
Donnerbalken ins All als echtes WC, aber es tut seinen Zweck. Als ich Sanders sagte,
dass ich mich erleichtern muss, wollte der Arsch, dass mich ein Spacemarine
begleitet.
Um eine Flucht zu verhindern!
Seither trage ich Handschellen. Und das Gesicht des Leutnant
Commander ziert ein wunderhübsches Veilchen.
Und dann sind wir bei Container LH-4518-B.
Mein ganz persönliches Schwarzes Loch.
Die Halteklammern, mit denen sich die Ladebrücke an
den Container klammert, stöhnen. Als würde die Bethany mir ihr Mitgefühl
zuflüstern. Das Schott gleitet zur Seite und Sanders deutet einladend auf den
Durchgang.
„Wollen wir?“ fragt er und in seinen Augen blitzt die
Vorfreude eines Jägers, der gleich seine Beute erlegt.
Ich schenke ihm ein freudloses Lächeln, ducke mich und
werde nach wenige Schritten von der nüchternen Funktionalität eines
Frachtcontainers begrüßt. Die Luft riecht schal und abgestanden. Nach Malz und
Öl und irgendetwas, das ich nicht einordnen kann, aber dafür sorgt, dass mein
Magen einen Salto vollführt. Ich presse die Lippen zusammen. Schlucke die
bittere Galle, die sich meine Kehle empor krampft, wieder hinunter. Blinzle.
Das Metall der Wände hat Schrammen und Dellen. Der Boden ist uneben von den
unzähligen Lasten, die sich im Laufe der Jahre auf im aufgetürmt haben und die
spärliche Beleuchtung, die die Gilde vorschreibt, reicht kaum aus, um
irgendetwas zu erkennen. Trotzdem sind die Kisten, die sich vor uns erheben
nicht zu übersehen.
Echtes Holz.
Jede Einzelne ein Unikat. Handgefertigt.
Duhain Whisky wird nicht einfach produziert, er wird
zelebriert. Traditionell gebrannt über Torffeuern wie vor Jahrhunderten. Danach
beginnt die Reifung. In Eichenholzfässern, wo er über lange Jahre die Aromen
der Zeit aufsaugt, bis er seinen goldenen Glanz annimmt.
Das ist der Stoff, aus dem die Träume von Menschen
sind, die mit recyceltem Wasser künstlichen Kaffee aufbrühen.
Ich seufze.
Einer der Steeljacks geht an mir vorbei und bricht die
vorderste Kiste auf. Das Geräusch geht mir durch Mark und Bein. Der Mann dreht
sich um und reicht Sanders eine Whisky Flasche. Gold Geld. Blue Labled.
Sanders wischt durch die Frachtpapiere auf seinem
HoloPad. „Ich kann keinen Eintrag zu diesem Teil der Ladung finden, Bürgerin.
Weder Ladepapiere noch gültige Zollunterlagen.“
Ich atme tief ein.
Sinnlos. Es ist sinnlos. Nichts, was ich jetzt noch
sage, wird etwas ändern.
„Können wir das nicht einfach lassen“ seufze ich. „Wir
wissen doch beide, dass für diese Ladung keine Papiere existieren.“
Er zieht die Brauen hoch, mustert mich. Die Farbe der
holografischen Unterlagen verändert sich. Beinahe scheint es, als würde sich
Enttäuschung in die undurchdringliche Mine des Offiziers mischen.
„Möchten Sie damit andeuten, Bürgerin …“ Er macht eine
Pause. „Dass es sich hierbei um Schmuggelware handelt?“
Ich balle die Hände zu Fäusten. Nicke.
Sanders Finger huschen über das HoloPad. „Ich muss Sie
darüber in Kenntnis setzen, dass alles, was sie ab jetzt sagen, gegen Sie
verwendet werden kann und wird, Bürgerin. Haben sie das verstanden?“
Ich nicke noch einmal. Der Stahl der Handschellen
beißt in meine Haut.
Hilflos.
Ich habe mich noch nie so hilflos gefühlt.
Doch …
… einmal, aber das habe ich verdrängt.
Sanders tippt wieder etwas in das Hologramm. „Bitte
bestätigen Sie mit einem eindeutigen Satz, dass ich Sie über die Konsequenzen
einer Aussage oder einer Aussage, die als Geständnis gewertet werden kann,
informiert habe, Bürgerin.“
Fick dich!
Trotzdem stammle ich. „Ich habe verstanden …, dass
mich eine Aussage …“ Ich breche ab, zögere, schlucke. Dann fahre ich mit festerer
Stimme fort. „Ich bin informiert worden!“
Wieder eine Eingabe in das verfluchte Hologramm.
Sanders blickt auf. „Bitte sagen sie deutlich und in
verständlichen Sätzen …“
„Verdammt!“ knurre ich. „Ja! Mir ist klar, dass sie
mir den Arsch aufreißen werden. Und ja! Es gibt keine Frachtpapiere für den
Scheiß Whisky. Und auch keine Zollunterlagen, weil niemand dafür Zoll bezahlt
hat. Nicht die Bastarde, die mich angeheuert haben und ich auch nicht.
Zufrieden?“ Ich hebe die gefesselten Hände. „Ich mache das doch nicht aus Spaß
oder weil ich verfluchtes Abenteuer suche! Ich mache das, um zu überleben! Weil
250000 Tonnen nicht mehr reichen, um den beschissenen Kredit für das Schiff,
die Landegebühren und das bisschen Luft zu bezahlen, die ich brauche.“
Diesmal schleicht sich ein Hauch von Mitgefühl in
Sanders Blick. „Das ist uns bewusst, Bürgerin. Jedem in der SpaceNavy. Und vor
14 Stunden hätten Sie wahrscheinlich sogar mit dem Captain darüber reden
können. Aber jetzt eben nicht mehr.“
Ich starre den Leutnant Commander mit offenem Mund an.
Die Erkenntnis trifft mich wie ein Schlag in den Magen
Der Kommandant der Toledo war nie auf eine Beförderung
aus, nur auf ein paar Dollar.
Was für eine wunderbar beschissene Welt.
„Bürgerin“ Das Mitgefühl ist Sanders Augen erlischt so
schnell wie es gekommen war. „Da Sie zum dritten Mal eine Straftat begangen
haben, fallen Sie unter den Criminal Justice Act MXVII § 219. Ihnen werden
unwiderruflich bis zum Verbüßen der verhängten Strafe 5000 Lux abgezogen. Ihr
Seelenlicht wird deaktiviert. Trooper Martinez. Legen Sie dem Häftling einen
Silencer an.“
Ich öffene den Mund …
… schließe ihn wieder.
„Nein! Warten Sie! Bitte“ stammle ich. „Das ist doch
nicht …“
Aber der Spacemarine zieht bereits eine
Handtellergroße Metallscheibe aus seiner Gürteltasche. Derselben Gürteltasche,
aus der er vor einer halben Ewigkeit die Handschellen hervorgezaubert hatte.
Die unscheinbare Metallscheibe erwacht zu verstörendem
Leben. Breite Metallbänder entfalten sich an den Seiten und in der Mitte stülpt
sich ein glänzender Zapfen in die Höhe.
„Häftling! Öffnen, Sie den Mund“ herrscht mich
Martinez an.
„Nein! Bitte …“ Ich sehe hektisch zwischen dem
Silencer und Sanders hin und her. „Das ist doch nicht nötig. Bitte. Ich …“
Weiter komme ich nicht.
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